“Bleiben Sie gesund!”




Ein Blickkontakt, ein Lächeln und dieser mittlerweile fast rituelle Gruß. Eigenartig, wie die derzeit sinnvollerweise verordnete soziale Distanzierung unerwartete menschliche Nähe generiert – mit dem Nachbarn, der fünf Meter weiter in seinem Garten werkelt, mit der Verkäuferin an der Supermarktkasse, und so weiter.

Eine Focusing-Freundin hat eine Liste mit „nicht abgesagten Sachen“ herumgeschickt: Sonne, Frühling, Beziehungen, Liebe, Leben, Zuwendung, Musik, Fantasie, Freundlichkeit, Gespräche, Hoffnung, Beten, Humor, Freude… Es gibt so vieles, was nicht abgesagt, eingeschränkt, verboten werden kann. Ich hatte so viel Freude an der Gartenarbeit, dass mir nicht einmal die Fußball-Bundesliga wirklich gefehlt hat. Ja, wo kommen wir denn da hin??!

Das alles erinnert mich spontan an eine >> Kunstaktion, die der Theatermacher Johannes Volkmann während der Finanzkrise 2008 an vielen Orten weltweit durchgefĂĽhrt hat: Auf einer langen, weiĂź gedeckten Tafel stehen beschreibbare Teller. Passanten werden aufgefordert, niederzuschreiben, was sie fĂĽr UNBEZAHLBAR halten – das Buch dazu liegt bei uns im Wartebereich der Praxis. Bei dieser Aktion ging es darum, einen Austausch ĂĽber Aspekte des Lebens in Gang zu setzen, die a) gratis und b) unbezahlbar sind. Die Situation jetzt ist gewiss noch drastischer als 2008 und ermöglicht vielleicht ja gerade deshalb einen drastischen Perspektivwechsel hin zu den Aspekten des Lebens, die unbezahlbar und unabsagbar sind.

Schiebt uns die aktuelle Krise in einen grundsätzlichen Sinneswandel? Ich halte durchaus für möglich, was der Trendforscher Matthias Horx in einem bemerkenswerten >>Aufsatz als Zukunftsszenario entwirft, nämlich dass wir uns nach der Coronakrise z.B. wundern werden, „dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung führten. Im Gegenteil. Nach einer ersten Schockstarre fühlten viele von uns sich sogar erleichtert, dass das viele Rennen, Reden, Kommunizieren auf Multikanälen plötzlich zu einem Halt kam. Verzichte müssen nicht unbedingt Verlust bedeuten, sondern können sogar neue Möglichkeitsräume eröffnen.“ Wenn sogar der Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sich in diesem Sinn äußert….

NatĂĽrlich gibt es da in mir auch eine skeptische Stimme, die fragt, ob diese positive Perspektive vielleicht einfach nur so etwas ist wie das “Pfeifen im Wald”? Also eine Form der Angstbewältigung durch Ausweichen auf positive Optionen? Das Muster Nr. SIEBEN aus dem Enneagramm lässt grĂĽĂźen.

Nun, ich kann wirklich nicht sagen, dass ich nicht auch Angst hätte. Wir können nicht mit Gewissheit sagen, dass das alles gut ausgeht. Die Rechenbeispiele der Epidemiologen verheißen nichts Gutes. Und wir können uns auch nicht wirklich an grandiosen, vielleicht sogar „spirituell“ eingefärbten Ideen festklammern. Es sind ja nicht die Ideen, die eine passende Haltung gegenüber der Angst ermöglichen. Es ist die direkte Erfahrung eines entspannten, lichtvollen Herzens. So können wir üben, uns mit Verletzlichkeit und Ungewissheit anzufreunden. Von Joanna Macy, der bekanntesten Vertreterin der sog. „Tiefenökologie“ stammt der Satz: „Wer Frieden mit der Ungewissheit schließt, erschließt sich eine besondere Form der Freiheit.“ (>>Kalligrafie) Vielleicht ist das die „spirituelle“ Botschaft? Auch das weiß ich nicht, aber ich nehme es für mich so.

Und finde mich damit unversehens in durchaus respektabler Gesellschaft: „In jedem Moment unseres Lebens haben wir die Wahl: Unsere Lebensumstände können uns verhärten, uns ängstlich und abweisend machen, oder sie lehren uns, sanfter, mitfühlender und freundlicher zu werden“ (Pema Chödrön, buddhistische Lehrerin, in dem Buch „Geh an die Orte, die du fürchtest). Oder auch: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen“ (Paulus im Römberbrief, Kap.8 – man muss das vielleicht nicht unbedingt theistisch auffassen, aber hier steht auf jeden Fall „alle Dinge“!).

Meine Praxis bleibt offen für alle, die persönlich kommen möchten. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, zu telefonieren. Und im nächsten Newsletter gibt es dann die news mit den neuen Terminen. Momentan wird viel abgesagt und verschoben.

Wie heißt es so schön? Bleiben Sie gesund. Bleibt gesund.

HN

Veröffentlicht in Hans